Wer bin ich? Was macht mich aus? Und wo ist meine Mitte, wo meine Angst, wo meine Sehnsucht?
Wer bin ich in Bezug auf geprägte Persönlichkeit und Charakter? Welcher Art sind meine „positiven“ und „negativen“ Kräfte, „Stärken“ und „Schwächen“? Welche Grundformen der Angst prägen mein Empfinden, Fühlen und Denken? Welche Sehnsucht treibt mich an? In welchen Spannungsfeldern bewege ich mich im Leben, die Verstand und Vernunft – oft unbewusst – zutiefst konditionieren und die Wahrnehmung einseitig verzerren? Wo liegt meine Einseitigkeit, wo meine Ausgewogenheit? Und wie kann ich achtsam und selbstfürsorglich Ausgleichsbewegungen erzeugen? Fragen über Fragen!
Kurze Vorab-Info
Grundlage meiner beiden Artikel – hier Teil 1, dort Teil 2 – über die „Grundformen der Angst“ und die vier daraus abgeleiteten Blickwinkel menschlicher Wahrnehmung ist die Arbeit des Psychologen Fritz Riemann (Buch: „Grundformen der Angst – Eine tiefenpsychologische Studie“), Mitbegründer der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München. Weiterhin verwende ich Aspekte des Managementberaters und -trainers Prof. Dr. Hans Jung sowie des Arztes für Naturheilverfahren Dr. Reimar Banis.
Ich verwerte hier zusätzlich meine eigenen Lebens- und Praxiserfahrungen als Mensch, Heilpraktiker, Homöopath, Atem- und Achtsamkeitslehrer. Ich erhebe dabei weder den Anspruch der Vollständigkeit noch der absoluten Richtigkeit oder gar Wahrheit noch der intellektuellen naturwissenschaftlichen Beweisführung!
Kräftespiel in dynamischen Spannungsfeldern, keine fixe, starre Typologie!
Es geht mir hier v.a. um das Veranschaulichen von vier Tendenzen, Kräften, Polen, Persönlichkeits-Schwerpunkten, Konditionierungen und zwei grundlegenden Spannungsfeldern, durch die wir Menschen uns bewegen. Diese sind sinnlich-empfindend, emotional und mental erfahrbar und durchdringen unser gesamtes Leben. Es ist eher eine Art „Verständnis-Tool“ anstatt einer fixen, starren, statischen Typologie nach dem Motto „so ein Typ ist dieser Mensch, und das wird immer so bleiben“. Nein, jeder Mensch ist einmalig, ein Individuum und immer „work in progress“! Bleiben Sie also neugierig, wohlwollend, flexibel und spielerisch mit dieser „Ein-Ordnung“! Eine isolierte Reinform dieser Kräfte kommt in der Realität nicht vor. Riemann betont, dass alle vier Pole wichtig und nützlich sein können für jeweils verschiedene Lebenssituationen. Es geht also nicht um gut oder schlecht, richtig oder falsch!
Hier schon mal ein kurzer Überblick (im 2. Teil des Artikels als pdf-Download ausführlicher):
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Schizoider Typ ↓ |
Depressiver Typ ↓ |
Zwanghafter Typ ↓ |
Hysterischer Typ ↓ |
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Der Distanzierte, Kritische und Unabhängigkeit liebende |
Der Fürsorgliche, Mitfühlende, Soziale und Nähe liebende |
Der Beherrschte, Beständige, Struktur und Ordnung liebende |
Der Flexible, Ungezwungene, Lebenslustige, und Freiheit liebende |
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Vor emotionaler Nähe, Hingabe, Abhängigkeit und Ich-Verlust |
Vor Distanz, Verlust emotionaler Verbindung und Ich-Werdung |
Vor Veränderung, Wandlung, Neuerungen, Unordnung und Chaos |
Vor Festlegung, Verlust seiner Freiheit, Unlebendigkeit und Erstarrung |
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Vertrauen, liebende Wärme und Geborgenheit | Durchsetzen und Leben eigener Bedürfnisse | Heitere Lebendigkeit und Ungezwun- genheit | Stabilität, Beständigkeit, Verlässlichkeit und Klarheit |
Zum tieferen Verständnis der im zweiten Teil des Artikels folgenden Übersicht (s. Download-Link dort ganz unten) ist es von Vorteil, wenn Sie das Buch von Fritz Riemann, „Grundformen der Angst“ bereits gelesen haben, da dies die Basis des Ganzen bildet!
Ergänzend, v. a. im Hinblick auf die Anwendung für Führungskräfte in der Arbeitswelt, siehe auch „Persönlichkeitstypologie“ von Prof. Dr. Hans Jung.
Zur Psychologisierung unserer Gesellschaft
Psychologie ist wie ein Küchenmesser. Sie kann Leben nähren oder zerstören!
Die zunehmende „Psychologisierung“ unserer Gesellschaft ist ein zweischneidiges Schwert. Wir können das psychologische Wissen – auf der subjektiven Basis unserer Konditionierungen, intellektuellen Glaubenssätze, Moralvorstellungen wie erworbenen Reaktionsmustern und Automatismen – benutzen, um uns selbst und anderen zu schaden oder zu nutzen.
Warnung: Wissen schützt nicht vor Dummheit & Ignoranz! Hier hilft nur Weisheit durch Erfahrung.
Wir können Psychologie zum Theoretisieren, Rechthaben, Verurteilen und Abwerten anderer und zu Machtmissbrauch, Manipulation und Fremdbestimmung einsetzen. Oder eben zur Annäherung an eine achtsame, klare wie mitfühlende innere Geisteshaltung, an „heiler und ganzer werden“. Sowie zum bewussten, willentlichen Ausgleich von unförderlichen Einseitigkeiten in unserem Welt- und Glaubensbild, zur Verminderung von Leid und Unglücklichsein wie zur Beförderung von innerem Glück, Freude und echter Gelassenheit.
Wozu kann uns diese „Charakterkunde“ – basierend auf den Grundformen der Angst – dienen?
Die Grundsätze der Menschen offenbaren ihren Charakter
(Luc de Vauvenargues)
Ein umfassenderes Verständnis des Menschseins allgemein zu erlangen, ein praktikables Instrument zur Selbsteinschätzung sowie zur Einschätzung von Entwicklungspotenzialen und Ressourcen bei anderen an die Hand zu bekommen ist für mich Ziel und Zweck dieses Unterfangens. Weiterhin geht es mir um die Sichtbarwerdung der grundlegenden polaren Kräfte und Spannungsfelder sowie der verstandesmäßigen Konditionierungen, welche unsere Wahrnehmung einfärben und verzerren.
Die innewohnende Weisheit der Riemann´schen Betrachtung in „Grundformen der Angst“ fördert – in den Alltag integriert – unter anderem…
Hat man Charakter,
so hat man auch
sein typisches
Erlebnis, dass immer
wieder kommt!
(Friedrich Nietzsche)
- Unsere lebenssteuernden Ängste besser zu fassen, sie letztlich annehmen zu lernen und daran zu reifen
- Selbst-Bewusstsein: Schwächen & Handicaps und Stärken & Ressourcen sowie darin liegende Entwicklungspotenziale achtsamer wahrzunehmen und Einseitigkeiten auszugleichen
- Gesunde Distanz zu den „Dingen“ zu entwickeln und sich besser abzugrenzen von unförderlichen Einflüssen bzw. innere Strategien des förderlichen Umgangs zu entwickeln und auszuprobieren
- Selbstliebe bzw. eine liebevolle Selbstannahme und Selbstfürsorge zu entwickeln. Eigene Bedürfnisse und Werte besser erkennen und leben zu lernen („liebevolle“ Durchsetzung) sowie mitmenschliche Bedürfnisse und Verhaltensweisen kennen und tolerieren zu lernen (Mitgefühl bzw. Empathie für andere)
- Sich gesunde Ordnungen, förderlichere Rituale und achtsame wie selbstfürsorgliche Denk- und Verhaltens-Strukturen für eigene Entwicklungsprozesse aufzubauen sowie diese konsequent einübend in den Alltag zu integrieren.
- Mehr in spielerischen Humor (z.B. über die eigene Unvollkommenheit und über die anderer lachen zu lernen), Spontanität und kreative Freiräume zu investieren (→ siehe hierzu z.B. Was ist Lachyoga?). Erkennen und akzeptieren, dass Leben ein dynamischer Wandlungsprozess ist und dass daher eine statische Mitte, ein fixes Ideal, eine dauerhafte Perfektion unrealistisch ist.
Unser Leben ist ein spannendes, oft auch anstrengendes und leidvolles Wechselspiel mit Nähe-/Distanz- und Ordnungs-/Wandlungs-Kräften.
Das alles kann hilfreich sein beispielsweise in Ehe, Partnerschaft, Beruf und auch in der seelisch-geistigen Entwicklung. So können Arbeitgeber ihre Angestellten effektiver einsetzen, wenn sie wissen, wo der Persönlichkeitsschwerpunkt liegt, der sie für manche Tätigkeiten mehr befähigt und für andere weniger. Partner könnten mehr Verständnis für ihre Andersartigkeiten entwickeln und sich so besser aufeinander abstimmen. Für an Selbsterfahrung interessierte erhellen sich bisher unbewusste Aspekte des eigenen oder mitmenschlichen Verhaltens. Menschen, die gerne etwas ausgeglichener wären, können über die Bestimmung ihres grundlegenden Charakters und der Verteilung der anderen drei Anteile einen bewussteren Ausgleich vornehmen. Hier lässt sich über ein Persönlichkeitsprofil und ein persönliches Beratungsgespräch annähernd bestimmen, welche Anteile wie stark entwickelt oder eben entwicklungsbedürftig sind.
Charakter ist nichts anderes als eine langwierige Gewohnheit.
(Plutarch)
Bitte seien Sie mit dieser „Charakterkunde“ nicht zu abstrakt-theoretisch und statisch. Immer den Bezug zum praktischen und alltäglichen Leben finden!
Zum 2. Teil des Artikels und zum Download
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