Selbstliebe als achtsame, wertungsfreie, wohlwollende und fürsorgliche Haltung mir selbst gegenüber
Selbstliebe ist die Bereitschaft, alles Erkannte und Erfahrene an mir und in mir erst einmal anzunehmen, wie es ist! Unabhängig von der Wertung meines Verstandes, ob ich es mag oder nicht, ob es angenehm ist oder nicht! Genau das meint Selbstannahme, Selbstakzeptanz, Selbstmitgefühl oder Selbstfürsorge, vier Qualitäten, die Selbstliebe gut umschreiben.
Selbstliebe ist – wie im ersten Artikel bereits angerissen – eine aktive, bewusste Entscheidung und eine sich ständig durch Übung weiterentwickelnde erkenntnisbasierte, freundlich-fürsorgliche wie heilsame Geisteshaltung, die letztlich auch andere Wesen mit einschließt. Somit ist Selbstfürsorge kein passives Abwarten, ob sie schicksalshaft, irgendwie und zufällig von allein entstehen mag oder gar von draußen an mich herangetragen wird.
Unheilsame Geisteszustände – die Achtsamkeit und Selbstmitgefühl untergraben – sind beispielsweise nicht-mitfühlender („kalter“, hartherziger, dogmatischer, abwertender) Intellektualismus und Rationalismus, Kritiksucht und Rechthaberei, (zwanghafter) Perfektionismus, Ichsucht und Hochmut, Eifersucht, Gier und Habsucht, Ärger, Zorn und Hass, Pessimismus, Selbstmitleid und Niedergeschlagenheit, Unwissenheit (Verblendung) bzw. illusionäres Wissen und Verwirrung, Frustration, Verbitterung oder anhaltende Ängste usw.
Selbstannahme heißt jedoch nicht, dass ich alle unheilsamen, leidbringenden Zustände für die Zukunft unverändert so lassen muss, wie sie gerade sind! Doch vor einer langfristig tragfähigen Umwandlung kommt zuerst das klare Erkennen und die urteilsfreie wie verständnisvolle Annahme meines jetzigen Ist-Zustandes, der ja meiner Lebensgeschichte und Prägung entspringt! Ohne dieses Erkennen und Annehmen gerate ich in einen schier unlösbaren Konflikt mit analytischen Grübeleien, Ablehnung, Widerstand und Kampf mit mir selbst und meinem „inneren Kritiker, Richter und Peiniger“. Dieser ist in meinem Geist mein schlimmster Feind, den es zu besänftigen und schrittweise durch den Gegenpol des achtsamen Mitgefühls abzuschwächen gilt! Das letzte, was dabei geschehen sollte, ist in sich selbst ein Schlachtfeld zu eröffnen.
Und auch die – meist unbewusste, unerkannte – Projektion meiner unheilsamen Geisteszustände in die Welt hinaus, auf die Gesellschaft, auf andere Menschen und Objekte ist keine echte Lösung. Es ist ein Kompensations- und Fluchtversuch vor dem inneren Schmerz und Leid, was vielleicht vorübergehend erleichtert, auf Dauer jedoch weiteres Leid nach sich zieht. So eröffne ich einen Kreislauf aus Anspannung, Flucht, Entfremdung oder Angriff mit Gegenangriff bzw. Verteidigung. Entspannung, Achtsamkeit, gelöstes bei mir und mit mir Sein, innerer Frieden und Gelassenheit rücken da in immer weitere Ferne!
Hindernisse der Selbstliebe erkennen!
Für Selbstmitgefühl gibt es kein größeres Hindernis als die Geisteshaltung, dass ich Liebe, Wertschätzung, Wohlwollen und Respekt nicht verdiene und dass es mein Schicksal ist, verletzt zu werden („Opferhaltung“).
Selbstabwertung zieht im Außen mich demütigende, verletzende Menschen und Situationen an. Das Resonanzgesetz lässt grüßen!
So verfalle ich in Nörgelei, Aggression, Arroganz, Passivität, Kleinheit, Niedergeschlagenheit, Pessimismus oder Verlorenheit und überlasse meinen Geist wie ein Blatt im Wind dem „Zufall“ und dem „inneren Kritiker & Richter“. Dessen gewohnheitsmäßiger „Job“ ist es, mich runterzumachen!
Wenn ich „weiß“, dass ich keine Liebe verdiene, dann werde ich auch keine Möglichkeiten und Räume in Achtsamkeit erschaffen, in denen Liebe entstehen kann. Ich werde weiter selbstabwertende Gedanken, Gespräche und Handlungen erzeugen sowie im Außen Menschen anziehen, die mich missachten und von denen ich mich missachten lasse (→ Ähnlichkeitsprinzip / Resonanzgesetz!). So nähre ich den Teufelskreis der Selbstsabotage, der mich immer wieder bestätigt und mein „Wissen“ untermauert, dass ich keine Liebe, Achtung, Respekt und Wertschätzung verdiene.
Selbstliebe bzw. Selbstmitgefühl lerne ich nicht mit symptomverdrängenden Mentaltechniken, oberflächlichen Affirmationen wie „Ich liebe mich“ oder in einem 2-Wochen-Crashkurs-Coaching, wie leider oft suggeriert wird! Es bedarf eines anhaltenden Achtsamkeitsprozesses in regelmäßiger, teils jahrelanger Übung, wie beim Erlernen einer Fremdsprache. Es gilt: Einen Schritt nach dem anderen, innehalten, atmen, erkennen, annehmen, das Problem freundlich erforschen, auch das Scheitern erkennen und annehmen, weiterüben, dranbleiben, Erfolge wertschätzen und dankbar dafür sein, erneutes Scheitern akzeptieren, hinfallen, wieder aufstehen und weitermachen… achtsam, geduldig und mitfühlend!
Den einen Weg zu Selbstakzeptanz, Glück und Gelassenheit gibt es nicht! Experimentiere mit verschiedenen Maßnahmen und mache dann ein Mehr derjenigen Maßnahmen, die sich langfristig als selbstförderlich zu erkennen geben und die sich insgesamt gut anfühlen. Ein Baum wächst ja auch nicht von heute auf morgen zu voller Größe. Er benötigt für gesundes Wachstum günstige Wachstumsbedingungen wie ausreichend gute Erde, Wasser, Luft, Licht und ganz wichtig: Raum & Zeit! Ein Baum mit unterentwickeltem Wurzelwerk (Fundament: symbolisch für wenig Achtsamkeit und Mitgefühl mit mir) und wenig Standhaftigkeit (Stammbildung: zu wenig Geduld, Beharrlichkeit) fällt bei stärkerem Wind oder Sturm (Herausforderungen des Lebens) schneller um.
Selbstliebe als Annahme dessen, was mich ausmacht
Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Mitgefühl – Das Fundament meines Selbstwertes!
Selbstliebe bzw. die wache und liebevolle Annahme dessen, was mein Menschsein ausmacht, gehört zusammen mit Selbstvertrauen und einem bewussten Leben zu dem Fundament eines gesunden Selbstwertgefühls!
Erst mit einer weitgehenden Stabilisierung dieses Fundamentes können sich die weiteren „Wachstums-Zutaten“ des Selbstwertgefühls wie eigenverantwortliches, selbstbestimmtes und zielgerichtetes Handeln sowie Authentizität (Echtheit, Glaubwürdigkeit) und Integrität entfalten. Integrität bedeutet soviel wie Rechtschaffenheit: Denken, Reden und Handeln entsprechen meinen inneren Bedürfnissen und Werten meines Welt- und Glaubensbildes.
Selbstliebe braucht Selbst-Bewusst-Sein der eigenen Grenzen
Selbstliebe bedeutet auch, dass ich meine Grenzen kenne (Selbst-Bewusstsein) und respektiere (Selbstannahme): Ich erkenne weitgehend meine Stärken und meine Schwächen. (hierzu s.a. Artikel über „Grundformen der Angst“ nach Riemann) Ich erfahre im Großen und Ganzen, was mit gut tut und was unförderlich für mich ist. Ich werde mir meiner Verletzungen, Traumen und Ängste bewusster und erkenne automatisierte Reaktionsmuster auf emotionale Auslöser im Außen. So kann ich mit der Zeit lernen, mich mit diesen Auslösern nicht mehr so stark zu identifizieren und bemerke, dass ich nicht mehr so anfällig für diese Reize bin. So fällt es mir leichter, den eingeübten Raum der Selbstliebe und Achtsamkeit schneller wieder zu betreten oder länger aufrecht zu halten.
Erst eine gute Dosis Wachheit und Selbstliebe, dann schrittweise eigenverantwortliche Selbstbestimmung!
Ohne Bewusstsein über die eigenen Muster und ohne Selbstliebe ist kein seelisches Wachstum, keine seelische Reifung möglich
Es gibt Menschen, die sich auf einer sehr tiefsitzenden Ebene kritisieren und ablehnen. Hier macht es wenig Sinn gleich an einem lösungsorientierten, eigenverantwortlichen und zielgerichtetem Wachstum zu arbeiten. Diese Menschen werden scheitern, wissen nicht warum, denken, sie wären Versager und bleiben frustriert zurück.
Zuerst sollte ein ermutigender Raum für urteilsfreie Achtsamkeit geschaffen, die Selbstablehnung klar erkannt und das Mitgefühl damit bestärkt sein. Das wäre sonst so, als würde ich den Karren vor den Esel spannen und mich wundern, wieso nichts weitergeht. Hier funktionieren in der Regel keine reinen Verhaltenstherapien, kein Coaching oder Motivationstraining und auch keine positiven Affirmationen. Denn dies alles setzt ein bereits vorhandenes Minimum an Selbst-Bewusstsein und Selbst-Achtung voraus! Ohne dieses innerlich stabilisierte Fundament gibt es auf Dauer keine stabile innere Entwicklung! Wer im unbewussten Sumpf des Jammerns, Klagens und Leidens – des andere Anklagens und des Selbstbemitleidens – anhaftet, hängt solange fest, bis er von innen heraus seinen Anteil daran bewusst betrachtet, freundlich annimmt und neugierig zu erforschen beginnt. Erst dann kann er sich vom Leiden bewusst distanzieren und zu lösen beginnen und so wird erst eine von innen her sich entfaltende eigenverantwortliche, selbstbestimmte und mitfühlende Entwicklung möglich!
Diese vier Aspekte der geistigen Achtsamkeitsarbeit nennt man in der buddhistischen Psychologie die Prinzipien der Wandlung:
- Erkennen: Die Bereitschaft aufzubringen, klar anzusehen und zu benennen, was in mir hier und jetzt ist, wie es ist. Ohne etwas wegzulassen oder dazuzufügen.
- Akzeptieren: Nehmen, was gerade ist und wie es ist. Ohne Wenn und Aber, ohne Widerstand und Ablehnung, und ganz wichtig, ohne sofort etwas verändern zu wollen! Möglichst respektvoll, freundlich und mitfühlend mit mir selbst (wie eine gütige Mutter ihr schreiendes Kind in den Arm nimmt). Dies ist die Essenz der Selbstliebe, Selbstfürsorge, des Selbstmitgefühls!
- Erforschen: „Tief blicken“. Das Problem und seine Zusammenhänge auf den Ebenen der körperlich-sensorischen Empfindungen, der Gefühle / Emotionen und der Gedanken (Vorstellungen, Bilder, Ideen, Standpunkte, Erinnerungen, Glaubenssätze, Wertungen…) freundlich, offen, vorurteilsfrei und neugierig untersuchen. Ohne sich in langwierigen Grübeleien, intellektuellen Theorien, Wertungen, Deutungen und Interpretationen zu verlieren.
- Nicht-Identifizieren: „Loslösung / Auflösung der Anhaftung“. Wir hören auf, das Problem als „Ich“ oder „mein“ zu betrachten, quasi es persönlich zu nehmen und schaffen eine gesunde Distanz. Weil wir erkennen, dass Identifikation zwar vermeintliche Sicherheit, aber eben auch Abhängigkeit, Leid und Unfreiheit erschafft. Dies ist wohl der schwierigste Aspekt der Wandlung und soll an dieser Stelle nicht tiefer erörtert werden. In der Achtsamkeitsarbeit verwenden wir dafür beispielsweise die Formel: „Empfindungen, Gefühle und Gedanken sind wie Wolken am Himmel oder Blätter im Fluss. Sie kommen und ziehen vorüber, mal langsamer, mal schneller. Der Himmel und der Fluss bleiben dabei von Wolken und Blättern unberührt, verändern sich nicht.“ Letzteres soll uns an die ewige, nicht-konditionierbare, unveränderliche Essenz unseres Seins und Wesenskerns erinnern.
Pillen für Selbstliebe und Glück?
Psychogene Pillen und Drogen, welcher Art auch immer, als vermeintlich einfacher Weg zur Förderung von Wachheit, Klarheit und Liebesfähigkeit verstärken – dauerhaft eingenommen – nur Unwissenheit, Abhängigkeit und Selbsttäuschung.
Pillen für die Liebesfähigkeit? Love drugs? Selbsttäuschung hoch zehn – Enttäuschung folgt!
Damit könnte man höchstens den Gehirnstoffwechsel manipulieren und dabei ungeliebte, abgelehnte, nicht akzeptierte Eigenschaften in sich selbst unterdrücken. Parallel verstärkt sich schleichend der Zustand von mangelnder Achtsamkeit, Liebesfähigkeit und Eigenverantwortung. Letztlich führt aus meiner Sicht nichts an einem selbstreflektierten und durch wache Erfahrung durchlebtem Leben vorbei! Und zu einem wachen, durchlebten Leben gehören neben Freude und Glück eben auch das Erfahren und Annehmen von Schmerz, Kummer und Leid.
Der wirklich entscheidende Unterschied zum unachtsamen Durchleben dieser polaren Geisteszustände im Gegensatz zum wachen Durchleben besteht im Erkennen der Wichtigkeit zur freundlichen und beharrlichen „Disziplinierung“ oder Lenkung meiner Gedanken, beispielsweise durch Meditation als geistiger Übungsweg. Hieraus erst erwächst Einflussnahme auf automatisiert ablaufende, unförderliche, leiderzeugende Reaktionsmuster! Und nur so kann echte (Wahl-)Freiheit als innere Kraft entstehen, die dann wiederum in uns mehr Gelassenheit und inneren Frieden gebiert, den wir in die Welt ausstrahlen.
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Weiterführende Links:
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