Warum achtet die Schulmedizin (Allopathie) die Verbundenheit von Körper und Seele so wenig?
Es herrscht heute auf medizinisch-wissenschaftlicher Ebene eine relativ geringe Einsicht in ein lebendiges, natürliches und ganzheitliches Menschenbild vor. Daraus ergibt sich eine mangelnde Akzeptanz der dynamischen, erfahrbaren Wechselwirkungen von Körper und Psyche, mit dem sich u.a. die Psychosomatik sowie die Klassische Homöopathie intensiv beschäftigen.
Dies liegt zum großen Teil an der noch weitverbreiteten naturwissenschaftlichen, analytisch-trennenden und sehr männlichen Sichtweise des kartesianischen bzw. rational-mechanistischen Weltbildes aus der Zeit der „Aufklärung“, beginnend ca. mit dem 18. Jahrhundert. Das Ergebnis war u.a. eine folgenreiche Aufsplitterung der Heilkunde in die Gebiete der Philosophie (Liebe zur Weisheit) bzw. Spiritualität, in Medizin (Heilkunde des Körpers), in Psychiatrie bzw. Psychologie (Heilkunde der „Seele“) sowie in immer weitere spezialisierte Fachgebiete, die unvernetzt Jahrzehnte lang vor sich hin wurschtelten. Die Psychosomatik bzw. die psychosomatische Medizin ist dabei der moderne – und längst überfällige – Versuch, alles wieder unter einen Hut zu bringen!
Homöopathie achtet Körper- und Seelenleben des Menschen und „be-Handelt“ dementsprechend
Diese Trennung hat beispielsweise die (Klassische) Homöopathie als medikamentöse Heilkunst der psychosomatischen Medizin – trotz ihrer Entstehung zur Zeit der Aufklärung – nie vollzogen. Von Anfang an ging es dem Begründer Dr. Samuel Hahnemann darum, den ganzen Menschen mit seinem Körper und seiner Psyche, seiner inneren Lebenskraft sowie seine konkrete Lebenssituation, Denk-, Fühl- und Lebensweise in die Behandlung mit einzubeziehen. Er suchte zwar, ganz ein Kind seiner Zeit, nach rational fassbaren Gesetzmäßigkeiten in der medizinischen Anwendung (und fand sie im Ähnlichkeitsgesetz = Resonanzgesetz sowie im Polaritätsgesetz). Er vergaß dabei – im Gegensatz zu vielen seiner ärztlichen Kollegen – aber nicht, dass Menschen keine statischen Maschinen sind. Menschen sind auch empfindende, fühlende, mathematisch „unberechenbare“ Wesen, die in ein – niemals rein statisch-rational verstehbares – übergeordnetes Ganzes fest eingebunden sind! Der dogmatische, fast schon technokratische Glaube an die alles beherrschende, kontrollierende Allmacht (oder gar Hybris?) der nur der Materie zugewandten Technik und Naturwissenschaft war Hahnemann als ganzheitlich denkender und handelnder Wissenschaftler und Arzt fremd und unlogisch. Er wusste, dass die Ratio nur ein Teil des Menschen ist, gleichberechtigt neben körperlicher Empfindung, Gefühl und Intuition bzw. natürlichem Instinkt und jedes Wesen hier seine ganz individuelle Mischung lebt. Diesen Standpunkt teile ich.
Das heute noch vorherrschende, recht einseitige (aber keinesfalls prinzipiell falsche) Welt- und Glaubensbild der Aufklärungszeit fußt auf den grundlegenden Prinzipien von:
Das mechanistische Weltbild reduziert den ganzen, lebendigen, beseelten Organismus auf dessen bloße Biochemie, Materie, Berechenbarkeit, Mechanik und seine Einzelteile.
- Materialismus
- Detailorientierung und Analyse
- Rationalismus
- Linearität
- Kausalität
Materialismus
Nur Materielles existiert, rein Geistiges existiert nicht, ebenso wenig wie „Lebenskraft“, auf welche die entmaterialisierten Heilmittel der Homöopathie und andere feinstofflich wirkende Heilmethoden Einfluss zu nehmen suchen! Emotionales und Mentales sind nicht durch Bezugnahme auf Immaterielles, Feinstoffliches, Energetisches oder Geistiges erklärbar. Der exakt berechenbare atomare Aufbau der Materie ist die Grundlage allen (anerkannten) Seins. Daraus wird geschlossen, dass alles Sein auf einen klaren, geradlinigen (= linearen), zielgerichteten Ursache-Wirkungsmechanismus festzulegen und dadurch auch exakt und mathematisch mit dem Intellekt zu berechnen ist. Dies führt zu einer sehr einseitigen Fixierung der Wahrnehmung auf Mechanik und Materie, Moleküle, Atome und (Elementar-)Teilchen. Alle anderen Bereiche des menschlichen Seins werden weitgehend ausgeblendet, verdrängt und unterdrückt.
Detailorientierung und Analyse
Der Begriff Analyse kommt vom altgriechischen Wort analysein: Auflösen / „Die Ganzheit auflösen“. Es meint die Zerlegung des Ganzen in seine Einzelteile und Details, um rational verstehen, berechnen und einordnen zu können, wieso und warum etwas funktioniert, wie es funktioniert. Dabei dürfte eigentlich die systemisch-komplexe Vernetzung der Einzelelemente nicht außer Acht gelassen werden, was aber leider allzu oft geschieht! Die ungetrennte Gesamtheit ist eben weit mehr als nur die Summe seiner Einzelteile.
So kommt es z.B. im medizinischen Bereich zu einer verwirrenden und weitgehend unvernetzten Herausbildung unendlich vieler Fachrichtungen, wobei der eine Medizinexperte nicht weiß, was der andere macht! In diesem Zuge werden auch ständig neue Krankheitsbegriffe (= Diagnosen) erfunden und neue schematische Behandlungsarten propagiert, ohne jedoch dem Wesen von Krankheit jemals näher zu kommen oder sie gar zu besiegen. Die Ganzheit und Ganzheitlichkeit tritt in den Hintergrund, der Überblick geht verloren. Der Leidtragende ist letztendlich der erkrankte Mensch, der als defekte Organ- und Gewebeansammlung gesehen wird, die es lokal am Ort des Symptomausdrucks zu reparieren gilt (= Symptombehandlung). Siehe dazu auch meinen Artikel Homöopathie vs. Allopathie: Unterschiede.
Rationalismus
Rationalismus entspringt dem lateinischen Wort Ratio: Berechnende Vernunft. Dies bedeutet ein Erfassen der materiellen Realität mit dem Verstand als oberstes Prinzip der Wahrnehmung und die Wertung, Beurteilung und Deutung dieser Wahrnehmung. Alle anderen Wahrnehmungsquellen wie Empfindungen, Gefühle und Intuition bzw. Ahnungsvermögen werden als unsachlich und irrational abgewertet und im besten Fall belächelt, in schlimmsten Fall psychologisch durch Rufmord eliminiert. Diese oft sachzwangfixierte Rationalismusdominanz (fast möchte ich hier das Wort Diktatur gebrauchen) führt im Überzogenen und Negativen zu gefühlskaltem, quantitativem, einseitigem, zersplittertem Expertenwissen, zu „Fachidiotentum“, zu Verlagerung von demokratischen Entscheidungen in oft lebensfremde Expertengremien („Expertokratie“ = Technokratie) und zu Verurteilung andersartiger Sichtweisen statt zu qualitativer, vernetzter, lebendiger und mitfühlender Weisheit.
Damit sei nichts gegen eine angemessene und „vernünftige“ Anwendung der Vernunft und des Intellekts (Verstand als Informationsspeicher) an passender Stelle gesagt. Beispielsweise im Rahmen eines entwicklungstherapeutischen Prozesses (Stichwort Selbst-Erfahrung) nach der Erfahrung oder nach einer längeren Krankheit als zusammenfassender Rückblick, als Unterscheidung, Deutung und Sinngebung gemachter Empfindungen, Gefühle und Ahnungen = Erfahrungen! Erst aus dem allem zusammengenommen entsteht wirklichkeitsnahe Lebensweisheit, welche faktisches und abstraktes Wissen integriert, nicht abtrennt.
Linearität
Geradliniges, direktes, zielgerichtetes Denken in einfachen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen im Gegensatz zu komplexem, vernetztem, divergentem, systemischem Denken, welches konventionelle Denkmuster tendenziell hinterfragt. Linear entspricht hier dem Satz „Das Ziel definiert den Weg“ im Gegensatz zum systemischen „Der Weg ist das Ziel“. Systemisch-nichtlineares Denken schließt eine Zielsetzung (= Erwartungshaltung / theoretische Vorstellung!) jedoch nicht völlig aus. Sie integriert ein mögliches Ziel in den dynamischen (Erfahrungs-)Weg, setzt aber den Schwerpunkt eher auf den Erfahrungsprozess als auf das rational anvisierte Endergebnis. Lineares Denken sucht zu vereinfachen und komplexe Sachverhalte greifbarer zu machen, was jedoch immer auf Kosten aller Informationen geht, die jenseits des begrenzt-linearen (Erfahrungs-)Weges liegen. Was nicht linear beweisbar ist, kann also auch nicht sein und wird in der Regel ignoriert!
Männliches Denken ist in der Tendenz eher linear und abgrenzend-isolierend, während weibliches Denken eher netzartig-systemisch und auf Verbindung gerichtet ist. Und dies ist unabhängig vom körperlichen Geschlecht archetypisch-seelisch zu verstehen.
Kausalität
Kausal von lat. causa: Ursache. Zu jeder Erscheinung im Materiellen / Körperlichen muss es eine lineare, also geradlinige, zeitlich vorangegangene, klar definierte materiell-körperliche Ursache geben. Hieraus allein sollte schon klar werden, dass die definierte Ur-Sache – also der allererste Grund – von Etwas meist eine willkürliche, intellektuelle Festlegung auf etwas (naturwissenschaftlich anerkannt) Nachweißbares und Greifbares ist. Und dies unter Ausschluss aller anderen möglichen „Ursachen“! Ich für meinen Teil verwende daher lieber den Begriff Auslöser, auslösende Faktoren, Trigger, Reizfaktoren, Stressfaktoren etc. statt Ur-Sache.
Abgesehen davon zeigt heutzutage beispielsweise die Klassische Homöopathie sowie die lösungsorientierte Psychotherapie, dass zur Lösung eines Problems die Ursache nicht zwingend bekannt sein muss! Und genau dies ist oft das Problem bei vielen körperlichen und seelischen Erkrankungen: Die tatsächliche Ur-Sache bleibt im Dunklen, im Ungreifbaren und man kann meist nur darüber spekulieren und analytisch hineindeuten. Viel wesentlicher ist es somit, die notwendigen inneren (Lebens-)Kräfte zu aktivieren, die einen weitestgehend selbstbestimmten Weg zur Lösung bzw. zur Besserung bereiten. Dies wären im psychologisch-spirituellen Bereich die Aktivierung und Stärkung des Selbstwertgefühls und eines sinn- und haltgebenden Welt- und Glaubensbildes. Im medizinischen Bereich ist es die Aktivierung und Stärkung der inneren Selbstheilungskräfte, welche die Homöopathie schlicht innere Lebenskraft bzw. Dynamis nennt.
Der Begriff Ur-Sache – beispielsweise für Schmerz, Leiden und Krankheit – verändert sich auch völlig in der Bedeutung, wenn ich die geprägte Wahr-Nehmung verändere: Eine vermeintliche Ur-Sache von allem in dieser Welt ist aus religiösem bzw. spirituellem Blickwinkel die erfolgte Trennung von „Gott“ und damit der Fall aus dem Paradies (= dem Ganzen, der Einheit) in die spannungsgeladene Polarität der materiellen Welt. Durch die klassisch-psychologische Wahrnehmung sind es die Grundprägungen durch Eltern und andere nahestehende Bezugspersonen auf die frühkindliche Psyche. Durch die aufgeklärt-naturwissenschaftliche Brille betrachtet, landen wir nach momentanen Erkenntnissen beim kosmischen Urknall als Ur-Sache unseres (materiellen) Seins. Daraus folgt, dass unsere eingeimpfte Wahrnehmung selten mit Wahrheit zu tun hat, sondern meist nur ein individueller, subjektiver Blickwinkel unter vielen anderen ist… und sich daraus eben die Wahrnehmungen von Urgründen und Ursachen ableiten!
Zu einseitig kopforientierte Prägung ist die Folge dieses mechanistischen Weltbildes
Wir heutigen Menschen werden in dieses einseitige, schablonenhafte naturwissenschaftliche Denkschema hineingeboren und in allen Lebensbereichen zutiefst von ihm geprägt und konditioniert.
So ist beispielsweise die gesamte schulische und universitäre Ausbildung darauf ausgerichtet und jeder Lernende wird „von Geburt an“ darauf fixiert. Wer anderes bzw. anders denkt oder denken möchte, hat hier im rationalen Mainstream der dominierenden „Wissenschafts-Diktatur“ eher schlechte Karten. Er muss sich dann nach den reglementierten Ausbildungen ergänzende bzw. alternative Wege suchen, wenn er seiner individuellen Sehnsucht, Neugier, Kreativität und Selbstentfaltung mehr Ausdruck verleihen möchte.
Diese recht einseitige (und sehr männliche) Sichtweise der Welt geht unter anderem auf den französischen Naturwissenschaftler und Rationalisten Rene Descartes (1595-1650) zurück, der den Satz prägte „Ich denke, also bin ich“. Dabei berücksichtigte er wohl nicht, dass der Mensch nicht nur aus rationaler, berechnender Logik bzw. mentaler Sphäre besteht. Weitere bekannte „Grundsteinleger“ dieser mechanistischen und materiellen Denkrichtung waren der niederländische Philosoph Spinoza (1632-1677), Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716), Issac Newton (1643-1727) oder Julien Offray de La Mettrie (1709-1751 / schrieb 1748 das philosophische Werk „Der Mensch, eine Maschine“).
Dazu passt das fantastische Video „Der Mensch als Industriepalast“ als Animation von Henning M. Lederer (www.industriepalast.com) basierend auf dem gleichnamigen Plakat von Fritz Kahn aus dem Jahr 1927.
Aber eben nicht nur die reine Mechanik des Körpers zählt, ebenso gelten für uns Menschen die Feststellungen „Ich fühle, also bin ich“, „Ich empfinde und spüre, also bin ich“ und „Ich erahne, intuiere oder glaube, also bin ich“! Genauso scheinen Descartes & Co. nicht beachtet zu haben, dass Wissen und Wahrheit immer nur abhängig vom jeweiligen subjektiven Standpunkt, Zeitgeist und kulturellem Weltbild des Betrachters seine Gültigkeit haben. Totale Objektivierbarkeit sowie das Fehlen von Konditionierung sind somit eine nette „Labor-Illusion“. Wissen und Wahrheit und damit die Wertungen „Richtig“ und „Falsch“ bzw. „Gut“ und „Böse“ können sich im unvorhersehbaren Lebensfluss völlig verändern, wenn man nur mal den eingefahrenen Blickwinkel wechselt! Menschen mit Nahtod-Erfahrungen können davon ein Lied singen.
Die Folgen dieser stark kopffixierten, berechnenden Einstellung lassen sich in allen Bereichen unserer Gesellschaft erkennen. Sehr deutlich beispielsweise im Bereich der Finanzindustrie, wobei der monetäre Blickwinkel Menschen zu Verbrauchern und Konsumenten, Renditeträgern und mathematischen Kostenfaktoren werden lässt. Massive Konkurrenzkämpfe, kalte und mitleidlose Berechnung sowie große Herzlosigkeit sind die Folge. Auch im Bereich der Medizin sind die Folgen zu erkennen, wo das Dienen der Mediziner am erkrankten Menschen immer mehr monetären „Sachzwängen“ untergeordnet wird und immer mehr Maschinen und Apparate menschliche Zuwendung „ersetzen“. Über die Anwendung von Robotern in der Altenpflege wird ernsthaft nachgedacht!
Wie gesagt, Kopf und Ratio sind nicht verkehrt und Vernunft ist eine wesentliche Fähigkeit des Menschen für seine Entwicklung. Doch sollten sich immer mehr Menschen daran erinnern, dass ihre anderen Fähigkeiten wie bewusste körperliche Empfindung, Herzlichkeit und Mitgefühl, Glaube und Intuition nicht vernachlässigt werden sollten! Sonst hocken irgendwann nur noch körper- und seelenlose „Hirnis“ auf dieser Welt herum, die nicht mehr wissen, was man mit einem Körper anstellt, die dessen Empfindungen und Zeichen nicht mehr wahrnehmen und nicht mehr Gefühle zeigen und ausdrücken, von der unberechenbaren Intuition ganz zu schweigen.
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