Gesund vs. krank – Zwei Seiten einer Medaille
Sie befinden sich im 2. Teil des Artikels über die vier Charakter-Tendenzen auf der Basis von Fritz Riemanns Arbeit „Grundformen der Angst“.
Erst Teil 1 des Artikels lesen
Lassen Sie sich beim Durchlesen des Buches „Grundformen der Angst“ nicht von der „negativen“, pathologischen Ausdrucksform Fritz Riemanns stören, denn sie bekommen beim seelisch (mehr oder weniger) Gesunden eine andere, „positivere“ Bedeutung: Wenn Ihnen beispielsweise der Begriff „Schizoid“ nicht gefällt, ersetzen Sie ihn – wie in der Übersichtstabelle in Teil 1 schon erwähnt – durch beispielsweise „Unabhängigkeit liebend“ oder „Kritisch-Distanziert“ oder „nach Selbstbestimmung strebend“. Nennen Sie den „Hysterischen“ stattdessen „begeisterungsfähig und freiheitsliebend“ oder „spontan-kreativ-lebendig“ oder auch „Regel-Rebell“ usw.
In der Krise beweist sich der Charakter
(Helmut Schmidt)
Die pathologische Begrifflichkeit und Beschreibung richtet sich im Grundlagenwerk von Fritz Riemann „Grundformen der Angst“ nach dessen Erfahrungen aus der Psychiatrie und Psychotherapie. Denn bei sehr tiefen seelisch-geistigen Störungen können – so stellte Riemann fest – Extreme der jeweiligen Charakterkräfte deutlich in ihrer negativen, unförderlichen bis destruktiven Ausprägung zum Vorschein kommen. Und im negativen Extrem erkennt man die Polarität zum positiven Pol besonders gut.
Licht- und Schattenseiten – Willkommen in der Polarität
Achtsamkeit, interessierte Wachheit und liebevoller Umgang mit den eigenen Handicaps sind essentiell für Glück, inneren Frieden und Gelassenheit in einer unruhigen Welt!
Da wir in einer polaren Welt leben, existiert natürlich neben unserer „dunklen Seite“ gleichberechtigt auch die „helle Seite“, die der Ressourcen, der Stärken und der gesunden, lichten, selbstförderlichen Eigenschaften und Kräfte der jeweiligen Charaktere und Menschen.
Und die gilt es meiner Ansicht nach – parallel zur Annahme unserer ungeliebten Seiten! – zu fördern, zu bestärken und im Alltag übend „einzuleben“, wenn wir runder, authentischer, präsenter, lebendiger und v.a. gelassener sein wollen. Finden Sie die innere Balance. Gleichen Sie Einseitigkeiten und Extreme immer wieder rechtzeitig aus – sonst wird es das „Schicksal“ tun, z.B. über den Prozess von „Leid“ oder „Krankheit“. Finden Sie das zu Ihnen jeweils passende Lebens-Maß und nähern sich immer mehr Ihrer „inneren Mitte“ und dem an, was wir ein Leben in „heiterer Gelassenheit“ nennen könnten.
Das rechte Maß macht – je nach Situation – die jeweilige Mitte!
Doch überfordern Sie sich dabei nicht! Wenn es v.a. erst mal um das Erlernen von Achtsamkeit / erkennendem Selbstbewusstsein und annehmender, liebevoller Selbstfürsorge geht, sollten sich Zeit und Geduld schenken. Hier wäre ein Meditations- & Achtsamkeits-Training eine empfehlenswerte Option, vorausgesetzt es liegen keine (schwereren) psychischen Störungen vor. Ist dann beispielsweise die nicht wertende Selbstannahme gut gediehen und ein gewisses Maß an Selbstvertrauen aufgebaut, ist der nächste Schritt die Entwicklung von mehr eigenverantwortlichem Denken, Fühlen und mutigem Handeln. Eins nach dem anderen, wobei auch hier die Übergänge natürlich fließend sind!
Vier verschiedene Blickwinkel des In-der-Welt-Seins
Alle Charaktere sind aus denselben Elementen zusammen gesetzt; nur die Proportionen machen den Unterschied aus.
(Théodore Simon Jouffroy)
Menschen sind individuell und haben nicht nur eine einzige Seite. Unser tiefer Charakter, unsere Persönlichkeit sowie die in der Öffentlichkeit getragene „Schutzmaske“ setzen sich aus vielen Schichten und im Sinne dieser hier dargelegten Betrachtungsweise aus einer individuellen Mischung aller vier Anteile zusammen. Fritz Riemann nannte sie „vier verschiedene Arten des In-der-Welt-Seins“.
In der Regel haben viele von uns jedoch eine mehr oder weniger deutliche Charakterstärke und eine angstgesteuerte Charakterschwäche.
Je länger ein Mensch lebt, umso deutlicher tritt sein Schwerpunkt im Positiven wie im Negativen zutage. Je ausgeglichener und gelassener ein gereifter Mensch auf uns wirkt, umso eher können wir davon ausgehen, dass er alle vier Anteile im rechten, individuellen Maß für sich entwickelt hat, sie achtsam und ausgewogen lebt und v.a. sie letztendlich nicht allzu ernst nimmt!
Das geniale an der Riemann´schen Betrachtungsweise ist die polaritätsbezogene Ausrichtung! „Schizoid“ / Distanziert und „Depressiv“ / Sozial bilden ein direktes Gegensatzpaar, genauso wie „Zwanghaft“ / Beherrscht und „Hysterisch“ / Lebendig. So ergeben sich aus den vier Prägungen und Grundängsten zwei spannungsgeladene Konfliktthemen und Entwicklungsfelder:
→ Distanz- und Abgrenzungsfähigkeit
kontra
→ Verbindungs- und Hingabefähigkeit
sowie
→ Beständigkeit und Wesenstreue
kontra
→ Flexibilität und Wandlungsfähigkeit
Charakter, Grundängste, Psychosomatik und Homöopathie
Viele körperliche, sogenannte somatoforme, funktionelle und psychosomatische Störungen können in den beiden Spannungsfeldern und den dabei auftretenden und auf Dauer krankmachenden Stressreaktionen ihren Auslöser haben.
Empfinden, Denken & Fühlen erzeugt Wahrnehmung… und beeinflusst Biochemie, Weiterdenken, Fühlen & Handeln!
Durch Forschungen der Psychosomatik, der Psychoneuroimmunologie und Hirnforschung weiß man, dass die Art und Weise des Wahrnehmens – Empfinden, Fühlen, Denken und Werten – sowie der unförderliche, auf Verdrängung gerichtete Umgang mit konfliktträchtigen Lebensthemen und Ängsten deutlich und nachhaltig die drei großen und aufs engste miteinander verflochtenen körperlichen Regulationsinstanzen – vegetatives Nervensystem, Hormonsystem und Immunsystem – stören können. Über diese Instanzen spielen unsere vom Verstand vorgefilterten Wahrnehmungen – und die vier Grundängste als Fixierungen dieser Wahrnehmungen – unmittelbar ins Stofflich-Organisch-Zelluläre hinein und bringen die autonome Eigenregulations- und Ausgleichsfähigkeit, die Selbstheilungskraft des materiellen Organismus langfristig durcheinander. Und infolge der Unordnung in diesen autonomen Regulationen können sich alle nur erdenklichen körperlichen, emotionalen und mentalen Beschwerden entwickeln. Die wirken wiederum als Stressfaktoren und setzen einen Teufelskreis in Gang.
Doch wir können etwas für uns selbst tun! Denn umgekehrt führt die Einübung eines achtsamen, wertungsfreien, selbstfürsorglichen und liebevoll-annehmenden Umgangs mit Empfindungen, Gedanken und Gefühlen wieder zurück in die Ordnung der autonomen Regulationen und stärkt langfristig das innere Selbst: Die Stimmung verbessert sich, mehr Glücksgefühle und Zufriedenheit stellen sich ein, Reizbarkeit, Ängste und Depressionen nehmen ab, viele körperliche Beschwerden wie chronische Schmerzen können sich reduzieren, erhöhter Blutdruck sich senken, das Immunsystem gestärkt werden, weniger Erkältungen und grippale Infekte auftreten, der Geist nimmt wieder klarer wahr, Gedächtnisleistung und Reaktionszeiten verbessern sich usw. (Quelle 14) Die Wahrnehmung der Stressbelastung insgesamt reduziert sich, die Stressresistenz bzw. Resilienz nimmt zu!
Einen medikamentösen, relativ sanften und tendenziell ganzheitlichen Umgang mit solchen körperlich-funktionellen Beschwerden und seelisch-geistigen Reibungsflächen bietet die Methodik der „Charakterisierenden Klassischen Homöopathie“. In den verschiedenen homöopathischen Heilmitteln und Charakterbildern spiegeln sich die vier seelischen Grundängste bzw. Grundkonflikte in unterschiedlicher Ausprägung wieder. Doch die wichtigste Arbeit ist und bleibt die mit SICH SELBST in möglichst LIEBEVOLLER ACHTSAMKEIT!
Doch jetzt zum Kern der Sache und viel Freude beim Querdenken…
Die vier Charakterpole nach Riemann – Tabellarische Übersicht